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Wunsiedel und Jean Paul

Der größte Dichter der Deutschen ist unbestreitbar Johann Wolfgang Goethe.

Aber schon zu seinen Lebzeiten gab es maßgebliche Personen, die den Dichter Jean Paul noch über Goethe stellten. Ein bedeutender Gelehrter hat Jean Paul “die größte dichterische Kraft der Deutschen“ genannt und damit ist er wohl am besten gekennzeichnet.

Denn kein anderer Dichter hat die deutsche Sprache so meisterhaft zu formen gewusst wie er, kein anderer hatte eine solche Fülle von schöpferischen Gedanken, keiner einen solchen Reichtum an Bildern und Gleichnissen. 

Geburtsstadt - Jean Paul

Jean Paul, der mit seinem vollen Namen Johann Paul Friedrich Richter hieß, wurde in Wunsiedel am 21.März 1763 geboren.

Sein Geburtshaus liegt bei der Stadtkirche. Es waren ursprünglich drei zusammengebaute Wohnhäuser, in denen die Lehrer der Lateinschule, des Lyzeums, lebten. Jean Pauls Vater, Christian Richter, wohnte im Lehrerhaus rechts.

Er war auch Organist an der Stadtkirche und ein hervorragender Musiker, einer der bedeutendsten Kirchenkomponisten des ehemaligen Fürstentums Bayreuth.

Christian Richter hatte aber nicht Musik, sondern Theologie studiert. Darum ging er bereits 1765 vom Schulberuf weg und wurde Pfarrer in Joditz, einem kleinen Dorf in der Nähe von Hof. Johann Paul Friedrich lebte also nur während der ersten zweieinhalb Jahre in Wunsiedel.

Kindheit - Jean Paul

In Joditz verlebte Johann Paul Friedrich seine Kinderzeit.13 Jahre lang unterrichtete ihn sein Vater, als dieser dann die Pfarrstelle in Schwarzenbach an der Saale bekam. Dort gab es eine Stadtschule mit einem jungen, modernen Lehrer und bei diesem durfte nun Johann Paul Friedrich, in Privatstunden, das tun, was er sich so lange sehnlich gewünscht hatte: Lernen, lernen, lernen.

Nach drei Jahren war er so weit, daß er in Hof in die vorletzte Klasse des Gymnasiums eintreten konnte. Aber nur ein Vierteljahr später starb plötzlich sein Vater und damit veränderte sich das Leben der Familie Richter völlig. Es gab damals für Witwen noch kaum eine Pension und Frau Richter stand mit fünf Söhnen, von denen Johann Paul Friedrich der älteste und der jüngste erst ein Jahr alt war, mittellos da.

Sie zog nach Hof und versuchte mit Wollespinnen ihre Kinder zu ernähren. Johann Paul Friedrich konnte zwar das Gymnasium noch beenden und nach Leipzig auf die Universität gehen.

Studium - Jean Paul

Die Jahre des Studiums verbrachte er in größter Armut und Not. Bald gab er daher sein Studium auf. Denn in ihm war ein starker Drang, die eigenen Gedanken, die in unerschöpflicher Fülle in ihm aufstiegen, niederzuschreiben.

Er war fest davon überzeugt, daß er durch Bücherschreiben viel Geld verdienen könne. Er fand auch, mit kaum 19 Jahren, für sein erstes größeres Werk einen Verleger. Es war eine Sammlung von Satiren, von Spottschriften, die scharfe Angriffe enthielten auf die Mißstände der damaligen Zeit. Dieses erste Werk Jean Pauls wurde zwar gedruckt - aber kaum gekauft. So bekam er auch nur eine sehr kleine Summe Geld dafür.

Er schrieb aber unaufhörlich weiter, immer in dem gleichen spöttischen, scharfen Ton - doch fand sich kein Verleger mehr, der seine Aufsätze drucken wollte. Zuletzt hatte er so viele Schulden, dass er heimlich unter falschem Namen aus Leipzig fliehen mußte.

Er kehrte nach Hof zurück. Unter den wenigen Menschen, die in diesen Jahren seiner Mutter immer wieder Geld zukommen ließen, war ein Freund seines verstorbenen Vaters, der Stadtschreiber Johann Ruß in Wunsiedel. Er lud auch Johann Paul Friedrich mehrmals ein nach Wunsiedel zu kommen und dieser fand hier einen Kreis von Menschen, die ihn ernst nahmen, sich für seine Arbeiten interessierten und seine außergewöhnliche Begabung erkannten.

Sein Leben lang war Jean Paul den Wunsiedlern für diese Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit dankbar. In seinen späteren Jahren schrieb er: ,,Ich bin gerne in dir geboren, du kleine, aber gute, lichte Stadt!"

Heimat Schwarzenbach - Jean Paul

Zu Anfang des Jahres 1790 ging Jean Paul in seine Heimat Schwarzenbach und eröffnete dort eine Privatschule.

Um diese Zeit vollzog sich in ihm eine entscheidende Wandlung. Er kam zu der Erkenntnis, daß es zu wenig und zu billig sei, immer nur das Schlechte in der Welt anzuprangern und daß damit niemand geholfen würde. Zur Klarheit in seinen Überlegungen gelangte er durch den Brief eines Verlegers, dem er eine Reihe neuer Satiren geschickt hatte und der sie ihm zurückgab mit den Worten:

,,Wäre dieser Aufwand an Witz und Geist in Romanform gebracht, so würden sich die Buchhändler darum reißen.“

Nun wußte Jean Paul seinen Weg. Er begann neben seiner Schularbeit einen Roman zu schreiben. Die Gestalten aber, die er schuf, waren, zum ersten Mal in der gesamten Literatur, einfache, schlichte Menschen in ihrem Alltagsleben. Er schilderte ihre Mühsale, und Bedrückungen, aber zugleich zeigte er sie als vollwertige Menschen, als Menschen, die Achtung und Ehre verdienten. Er schrieb für die Gebildeten, für die obere Schicht und lehrte die Großen und Reichen, die einfachen, von ihnen unterdrückten Menschen mit neuen Augen zu sehen.

Nach zwei Jahren hatte Jean Paul den Roman fertig. Er gab ihm den Titel: ,,Die unsichtbare Loge". Das Manuskript seines Werkes schickte er nicht an einen Verleger, sondern an den besten und berühmtesten Literaturkritiker der damaligen Zeit, Professor Karl Philipp Moritz in Berlin, auf dessen Urteil auch Goethe sehr viel gab.

Nach zehn Tagen hatte er die Antwort in Händen - und sie lautete: ,,Wer sind Sie? Wo wohnen Sie? Und wenn Sie am Ende der Welt wären und ich müßte hundert Stürme aushalten, so flieg ich in Ihre Arme! Ihr Werk ist ein Juwel!"
Der jüngere Bruder des Professors Moritz berichtete später darüber, was sich zutrug, als das Romanmanuskript eines Johann Paul Friedrich Richter ankam, dessen Name, ja sogar dessen Wohnort niemand in der Familie je gehört hatte. Professor Moritz las den Begleitbrief, dann sagte er: ,,Wer ist das? Das ist Goethe oder sonst einer unserer großen Dichter, der mich mit einer fremden Handschrift irreführen will." Aber als er dann die ersten Seiten des Manuskripts gelesen hatte, rief er aus: ,,Nein, das ist mehr als Goethe, das ist etwas ganz Neues!"

 

Nur wenige Tage nach dem ersten Brief bekam Jean Paul die Nachricht, daß ein Berliner Verleger seinen Roman drucken werde. Gleichzeitig sandte Professor Moritz ihm eine ganze Rolle Goldstücke als Anzahlung zu. Jean Paul machte sich von der Schularbeit frei, lebte wieder bei der Mutter und hatte nun Muße ein Buch nach dem anderen zu schreiben, Romane und Erzählungen. Seine Werke aber wurden rasch bekannt und überall mit Begeisterung aufgenommen, obwohl sie auch für die damalige Zeit keine leichte Lektüre waren, wurde Jean Paul zum meistgelesenen Dichter in Deutschland. Viele Menschen wünschten, Jean Paul persönlich kennenzulernen. Er bekam von überall her Einladungen, auch aus Weimar, dem damaligen Mittelpunkt des geistigen Lebens in Deutschland. Dort wohnten Goethe und Schiller und andere große Dichter der damaligen Zeit. Während seines Besuches in Weimar kam Jean Paul mehrmals mit den beiden großen Dichtern zusammen, aber sie blieben ihm gegenüber kühl. Er war so ganz anders wie sie. Sie standen als Dichter hoch über dem Alltag, Jean Paul aber immer mitten darin. Sein ganzes Leben hindurch interessierte er sich für alle Tagesereignisse, für die Politik, die wirtschaftliche und technische Entwicklung seiner Zeit, für die Erziehung und innere Bildung der Jugend. Vieles, was er schrieb, ist heute noch erstaunlich aktuell.

Wanderjahre - Jean Paul

Bis zum Tod seiner Mutter blieb Jean Paul in Hof. Dann folgten Wanderjahre. In Berlin fand er seine Frau und einige Jahre später in Bayreuth einen festen Wohnsitz.

Sein Leben verlief nicht ungetrübt, später auch nicht mehr frei von materiellen Sorgen, vor allem durch die Kriegszeit nach 1806. Der Kreis seiner Bewunderer wurde mit den Jahren kleiner. Aber sein Wort galt viel und bis zu seinem Tod im Jahre 1825 war er ein hochgeachteter, und von Vielen auch geliebter Mann.

Obwohl die Entfernung zwischen Bayreuth und Wunsiedel nicht groß ist, hat Jean Paul seine Geburtsstadt später kaum noch einmal besucht. Das geschah aber nicht, weil sie ihm gleichgültig geworden wäre. Ein Neffe von ihm, der ihm besonders nahestand, berichtete später, daß Jean Paul es absichtlich vermied, den Ort aufzusuchen, in dem er in seinen schweren Jugendjahren so gerne gewesen war und wo er so verständnisvolle Menschen gefunden hatte. Er fürchtete, es könnte bei einer Wiederbegegnung mit Wunsiedel das Bild von der "guten, lichten Stadt" zerstört werden.